Wow, wir konnten heute endlich mal wieder die Bergspitzen erkennen, nachdem wir aus dem Fenster geschaut haben. Das Wetter hatte sich über Nacht endlich zum besseren entwickelt. Es war zwar bitter kalt, aber es gab wenigstens keinen Regen.
Auf dem kleinen Dorfplatz von Ernen hatten wir vor einigen Tagen einen Aushang entdeckt, dass am 14.09. ein Almabtrieb im Binn-Tal stattfinden sollten. Um 10 Uhr sollte es losgehen, danach noch was essen und trinken zusammen mit der Dorfjugend und für die, die sich dafür hielten. Das Binn-Tal war das Nachbartal und endete am Talende an einer über 3.000 m hohen Wand von schroffen Gipfeln. Wir sind also mit dem Auto über eine sehr schmale Straße entlang der Felswand nach Giesse gefahren, dem vorletzten kleinem Weiler (ca. 10 Häuser) vor dem Talende. An der Dorfkirche haben wir einen Parkplatz gefunden und sind dann noch die Straße entlang nach Fäld gelaufen. Dort sollten die Kühe von den höher gelegenen Weiden durchgeführt werden. Am beschaulichen Örtchen wurden wir mit dem Schild begrüßt am schönsten kleinen Dorfplatz der Schweiz zu sein. Er war wirklich sehr hübsch, mit kleiner Kirche, Lokal und einem Krämerladen. Es war fast schon kitschig.
So gegen halb elf kamen dann die ersten bunt geschmückten Kühe entlang der Wege von den Almen zur Straße nach Fäld. Wir hatten uns jeder einen guten Platz zum Zuschauen und Fotos machen gesucht. Mit lauten Gebimmel kamen die Rindviecher durchs Dorf gelaufen, vornweg und hinterher die Besitzer. Es hatten sich viele Dorfbewohner eingefunden und auch einige Touristen. Nach der ersten Runde dachten wir das war es, aber es kam dann noch eine größere, diesmal nicht so festlich geschmückte Herde hinterher. Nur einige Kühe waren geschmückt, nach unserem Geschmack die schönsten. Das eine oder andere Mal musste ich einen Satz zurück machen, um nicht umgerannt zu werden.
Danach sind wir einen kleinen Höhenweg, oberhalb der Ortschaften zurück nach Giesse gefahren, wo auch unser Auto stand. Dort war die Wiese, wo die Kühe gesammelt und mit Auto ins Tal in den Stall abtransportiert wurden. Jeder Milchbauer hat seine Kühe, manchmal unter Protest, von der Weide zum Transporter geführt. Gritti ist eine sehr widerspenstige Kuh mit einem großem „G“ auf dem Hinterteil aufgefallen. Wir haben sie beide Grit genannt…
Wir sind dann noch zum Dorfplatz gegangen, um zu schauen, was da los war. Hier wurde Käse verkauft und man konnte was zu essen erwerben. Auch wurde Käsefondue gemacht. Ich habe versucht die Gespräche zu belauschen, aber ich habe so gut wie nichts verstanden. Der Dialekt im Wallis ist sehr schwer zu verstehen. Nachdem wir vom Gebimmel der Kühe genug hatten, wollten wir noch eine geplante Wanderung tief ins Binn-Tal machen. Es sollte uns zum Mässer-See führen. Von dort führte auch über den Gebirgskamm ein Passweg nach Italien. Wir wollten diesmal nur bis zum Mässer-See. Der Weg führte anfangs durch dichten Wald, entlang eines laut rauschenden Gebirgsbachs steil hinauf, so dass wir gleich am Anfang ganz schön geschnauft haben. Unterwegs haben wir jede Menge Pilze gesehen, auch die von Gritti geliebten Blutreizker. Aber wir konnten sie nicht mitnehmen, es war ja noch der Tour-Anfang.
Irgendwann hatten wir die Baumgrenze erreicht, so dass wir einen besseren Blick auf der Berge hatten. Die Sonne schien und die an der Vortagen beschneiten Berge leuchteten. Ein malerisches Bild. Nach einer Picknickpause sind wir den Weg weiter bergauf gefolgt, nach knapp 2 Stunden hatten wir den Männer-See erreicht, einem kleinem See, indem man nur im nördlichen Teil baden durfte – stand so auf einem Schild. Bei dem Gedanken wurde mir kalt. Im anderen Teil wuchsen seltene Pflanzen, deshalb war der Bereich geschützt. Unser Weg sollte weiterführen bis ans Ende des Tal, um abwärts an einem Gletscherbach wieder zum Ausgangsort zu führen. Kurz vorher habe ich 2 Wanderer befragt, die uns entgegen kamen, ob der Weg gut sei, schließlich hatte es ja geschneit. Er war ok, sie selbst waren seit 8 Uhr unterwegs, von Italien kommend, mussten also über die Scharte am Pass. Respekt – dachte ich. War so ähnlich wie meine Alpenüberquerung. Nachdem wir am Ende des Tals angekommen waren, haben wir beide gedacht, dass es ein Lost Valley (zu deutsch: verlorenes Tal) sei. Umgeben von schroffen Gipfeln, die beschneit waren, einem tosenden Gletscherbach und sonst nichts. Es war, abgesehen vom Rauschen des Bachs, nichts zu hören. Man fühlte sich in dem Moment richtig verloren. Beeindruckend und beängstigend, aber trotzdem schön. Hier sollte man wirklich nicht verloren gehen.
Weiter ging es also zurück nach Fäld. Bergab ging es wieder durch dichten Wald. Auf dem Weg waren wir völlig allein. An einer Berghütte vorbeikommend, die tatsächlich bewohnt war, ging es weiter ins Tal. Zur Hütte führte keine Straße, nur ein schmaler Waldweg. Das muss man mögen, hier zu wohnen. Ich selbst würde das gerne mal für 2 bis 3 Nächte ausprobieren. Totale Einsamkeit – aber der Mobilfunkempfang hatte hier im Nirgendwo vollen Ausschlag. Auch das können die Schweizer besser als wir!
Nach knapp 5 Stunden sind wir wieder im bewohnten Tal am Weiler Figgerscha (ja, der heißt wirklich so) angekommen. Am Dorfplatz in Giesse waren nur noch vereinzelte Menschen zu sehen, die sich die letzten Biere aufgeteilt haben. Da die Abendsonne schien, waren die letzten Meter bis zum Auto richtig angenehm, die kleinen Weiler an den Hängen wurden in einem idyllischem Licht getaucht. Es war einfach nur schön die Gegend auf sich wirken zu lassen.